Die weit überwiegende Mehrheit der Menschen glaubt an Gott, die Existenz übernatürlicher Wesen, oder ein Leben nach dem Tod. Wieso ist das so? Und was sagt die evolutionär fundierte Psychologie zu diesem Umstand? Wenn unser Denken als Anpassung an die objektiven Gegebenheiten entstanden ist, sollte es dann nicht nur auf das objektiv Belegbare hin angelegt sein? Für die Existenz des Übernatürlichen gibt es aber nun einmal keinen objektiven Beleg. Widerspricht die weite Verbreitung des Gottesglaubens nicht also einer evolutionären Perspektive auf unser Denken? Diese Frage bildet den Ausgangspunkt für das letzte Kapitel meines Buches. Im Zentrum stehen jüngere, psychologische Arbeiten zu diesem Thema, die zum Beispiel von dem kanadischen Psychologen Ara Norenzayan zusammengefasst worden sind:
Es lohnt sich auch der Besuch von Norenzayans Website zu diesem Buch:
http://www2.psych.ubc.ca/~ara/IndexBook.html
Auf Youtube findet man auch zahlreiche Vorträge von Norenzaya, zum Beispiel diesen hier:
Einen schönen, allgemein verständlichen Überblicksartikel zum Thema haben Arno van Voorst und Hans Ijzerman für The Inquisitive Mind verfasst:
http://www.in-mind.org/article/evolution-of-religion
Eine der zentralen Argumente hier lautet, dass unser Geist nicht auf Religiosität hin angelegt ist, sondern das religiöse Intuitionen gut zu dem Geist passen, den wir nun einmal haben, weil er so sehr adaptiv ist. Anders ausgedrückt: Dieselben Fähigkeiten, die es uns erlauben, Kooperation in großen Gruppen zu organisieren (was an sich ein evolutionärer Vorteil ist), sind es auch, die religiöse Intuitionen hervorbringen. An erster Stelle ist hier das Mentalisieren zu nennen, oder auch „theory of mind“ genannt, also die Fähigkeit, unserem Gegenüber eine ebensolche innere Wirklichkeit zuzuschreiben, die wir selbst denkend erfahren.
In den ersten Minuten dieses Vortrages erklärt der Havard Professor Steven Pinker, was damit gemeint ist:
… auch eine Art der Darstellung:
Der Rückgriff auf das Mentalisieren kann allenfalls erklären, warum Menschen religiöse Intuitionen haben, nicht warum sie Religion zu ethischen Systemen weiterentwickelten und von Generation zu Generation tradierten. Einer der beteiligten Gründe hierfür besteht darin, dass Religionen es erlauben, Kooperation in großen Gruppen (also weit größer als der eigenen Familie oder dem eigenen Stamm) zu organisieren. Dieses Argument wurde unter anderem von Jesse Bering postuliert. Wenn Sie sich für die „Princess Alice“ Studien von Jesse Bering, interessieren, dann schauen Sie das folgende Video an, in dem Bering die Studien nachstellt und erklärt:
Bering ist auch ein sehr aktiver und erfolgreicher Blogger, wie hier zu sehen ist:
http://blogs.scientificamerican.com/bering-in-mind/
Aus evolutionärer Sicht ist es also vor allem die Angst vor einem allgegenwärtigen, allmächtigen und potenziell auch strafenden Gottes, die das erstaunliche Maß an Kooperation hervorgebracht hat, dass Menschen nun einmal zumindest auch zeigen. Ich fasse in meinem Buch den Stand der Forschung zu dieser Sichtweise zusammen. Die Forschung geht aber natürlich weiter und so ist nach dem Erscheinen meines Buches zum Beispiel eine neue Studie in Nature herausgekommen, die für diese Argumentation enorm wichtige Belege liefert. Der SPIEGEL hat darüber berichtet:
Und wer die Studie im Original nachlesen möchte, kann das hier tun:
http://www.nature.com/nature/journal/vaop/ncurrent/full/nature16980.html
Hier ein Gespräch mit Azim Shariff, der in seinen Arbeiten immer die kulturelle und die evolutionäre Perspektive auf Moral und Religiosität kombiniert. Er beschreibt hier, welchen Nutzen dies haben kann:
Ganz anders erklärt die Terror Management Theorie das Entstehen religiösen Denkens. Sie sieht es als Bewältigungsstrategie im Umgang mit dem Wissen um die eigene Sterblichkeit.
Unter der folgenden Adresse finden Sie ein Interview mit Sheldon Solomon, einem der Autoren der Terror Management Theorie:
Im Sommer 2016 hat Sheldon Solomon dem SPIEGEL ein interessantes Interview zur Terror Management Theorie gegeben. Sie finden es hier:
Zu diesem Thema gibt es auch einen Beitrag in The Inqusitive Mind von Jonathan Jong und Jamin Halberstadt:
http://www.in-mind.org/article/death-and-deities-a-social-cognitive-perspective
Schließlich will ich auf die Website des World Value Surveys aufmerksam machen, die sowohl für Sozialwissenschaftler als auch für interessierte Laien eine wahre Schatzgrube ist (fröhliches Stöbern!)
http://www.worldvaluessurvey.org/wvs.jsp
Das letzte Wort auf dieser Website sollte nochmals der Evolutionsbiologe Frans de Waal haben. Er spricht hier kurz zum Verhältnis zu „Morality without religion“: